Nicht nur Schauspieler, sondern auch Rechercheur

Manolo Palma hat sein Geld in den letzten Jahren hauptsächlich als Synchronsprecher verdient. In „Großes Kino Berlin“ stellt er Peter Reisch dar. Hier berichtet er, wie er sich auf seine Rolle vorbereitet.

Als Christian (Tietz) mich im Frühjahr/Sommer 2018 das erste Mal fragte, ob ich bei Vajswerk mitmachen will, hatte ich zunächst zugesagt und musste dann wegen einer einmaligen Chance, bei einer Tanztheater-Produktion mitwirken zu können, leider absagen. Die Produktion fand genau im gleichen Zeitraum statt: Januar/Februar 2019. Den Text der Person, die ins KZ verschleppt werden sollte, hatte ich schon angefangen, mir zu Gemüte zu führen.

Dann meldete sich Christian wieder für „Großes Kino DDR“, was noch in weiter Ferne lag. Damals stand schon fest, dass ich ab Ende September – also wieder parallel – für ein anderes Theater proben würde: nur dass diesmal die Produktionen beide in Berlin stattfinden sollten und nicht wie das Mal zuvor in Erfurt und Berlin. Also vereinbar!

Ich war sehr froh, wieder mal ganz in die Theaterwelt einzutauchen.

Eigentlich habe ich mein Geld in den letzten Jahren hauptsächlich mit „Synchron“ verdient, also im Studio ohne Kontakt zum „Publikum“. Umso mehr hatte ich mich darauf gefreut, wieder auf die Bühne zu gehen.

Nach einigem Hin und Her mit der anderen Produktion, die dann doch nicht wegen Corona-Bedingungen stattfinden konnte, klappte es mit „Großes Kino DDR“, und mir und Christian.

Für „Großes Kino DDR“ habe ich das erste Mal erleben dürfen, wovon ich so oft gelesen und auch geträumt hatte: Dass Schauspieler*innen der Raum gegeben wird, sich mit der Zeit und den Personen zu beschäftigen und letztere sogar persönlich zu treffen. Oder eben mit den Verwandten und Zeitzeug*innen, falls die dargestellten Personen nicht mehr existieren.

Wir haben Ende Juni nach mehreren Zoom-Konferenzen, in denen der jeweilige Recherche-Stand vorgestellt wurde, zwei Fahrten unternommen. Die eine mit fast dem gesamten Team (Regie, Produktion, Historiker, Autorin und den Schauspieler*innen) an den Ort des Geschehens im Harz und an den Wohnort von zwei der im Stück dargestellten Personen.

Aus der ersten Fahrt in den Harz und Umgebung ergab sich eine spontane zweite Fahrt direkt am nächsten Tag: Die nur zwei Jahre ältere Tante von Peter Reisch, den ich in „Großes Kino DDR“ repräsentiere (ich sage absichtlich nicht spiele), haben wir in Cottbus aufgesucht. Wir, das waren in dem Fall Christian Tietz (der Regisseur und Mitbegründer von Vajswerk), mein Sohn Francisco und ich. Francisco hatte Ferien und großes Interesse.

Daraus ergab sich ein wirklich sehr anregendes, persönliches Gespräch, in dem die Tante von Peter Reisch irgendwann meinte, dass ich dem Peter in der Art ähnlich sei. Und nicht nur das: Auch wollte und will sie gerne meinen Sohn noch mal treffen, weil sie ihn so sympathisch fand. Das macht was mit einem. Das gibt einem das Gefühl, von etwas persönlich Erlebtem zu sprechen. Das alles schafft Verbindungen zu einem Stoff, der mir gerade am Anfang doch sehr weit weg erschien und mit mir persönlich nicht viel zu schaffen hatte.

Auch hatten wir in unserer gemeinsamen Dropbox einen Film hinterlegt, der aus den 1960er-Jahren stammte und der nicht unwesentlich meine ersten Eindrücke zu dem Stoff prägte. Mittlerweile kann ich sagen, dass diese Prägung verwischt und viel mehr eigene Bezüge an die Stelle getreten sind. Auch und gerade was meine Sicht auf Peter Reisch (und den Schützen F.H.) anbelangt.

Mir ist immer mehr klar geworden, wie viele Parallelen die beiden eigentlich hatten: das Alter, in „Polen“ (Schlesien und besetztes polnisches Gebiet) geboren, fühlen sich in der DDR nicht zu Hause und sehen sich dazu noch irgendwie ähnlich (zumindest auf den Fotografien, die mir bekannt sind). Hinzu kommt, beide sind geflohen, was wohl damit zu tun hat, dass sie Schwierigkeiten hatten, einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Tragisch. Für beide.

  • Peter war 19 Jahre alt, als er starb. Ich bin 20 Jahre älter. Peter lebt nicht mehr, ich lebe noch.
  • Was (oder wer) bin ich, während ich als Peter Reisch über ihn berichte? (Sein Geist, sein Alter Ego, seine fortgeführte Existenz …)
  • Wie kann er gewesen sein?
  • Was kann ich davon „darstellen“?
  • Wie berichtete Peter Reisch, würde er jetzt noch leben?
  • Was hätte er für eine Entwicklung genommen, wenn er in der DDR geblieben wäre?
  • Was für eine, wenn er erfolgreich „rübergemacht“ hätte?

Wie gesagt, ich repräsentiere ihn nur, gebe ihm als bereits Verstorbenem (m)eine Stimme; nur sind die Ereignisse über 58 Jahre her. Vieles ist verwischt. Ich sehe es auch als unsere Aufgabe, im Zweifelsfalle gewissenhafte Setzungen vorzunehmen. Daran arbeiten wir jetzt.

Über mich

Ich heiße Manolo Palma und habe mein Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg absolviert. Ich spielte u.a. am Staatstheater Mainz, dem neuen theater in Halle/Saale, den Städtischen Bühnen Chemnitz, dem Theater der Jugend in Wien und im Hexenkessel/Monbijoutheater Berlin. Zudem war ich Mitglied in der Shakespeare Company Berlin und unterrichtete an verschiedenen Institutionen Schauspiel. Seit 2013 arbeite ich verstärkt als Synchronsprecher.

Hier geht es zu den anderen Blogeinträgen: Projekt im Prozess – Großes Kino DDR.

VVK unter info[at]vajswerk.de. Eintritt: 10/7€.